Zur Natur schöpferischer Prozesse
Das eingangs beschriebene Modell des Geistes hatte zwischen einem rational-bewussten Teil und dem schöpferischen Unterbewusstsein unterschieden. Der rational bewusste Teil war für das WAS, die Zieldefinition und Ziel-Fixierung zuständig, während das schöpferische Unterbewusstsein die Lösungen liefert und dafür sorgt, dass das Ziel auch erreicht wird.
Wenn das funktionieren soll, muss das schöpferische Unterbewusstsein freie Hand bei der Lösungsfindung bekommen. Und diese Freiheit nimmt es sich im Allgemeinen auch. Das heißt, es arbeitet spontan und oft auch unvorhergesehen. Das sieht man bei einem Mitarbeiter natürlich nicht so gern. Aber eigentlich ist es auch wiederum kein Problem, denn die Zielverantwortung bleibt ja beim rational-bewussten Geist.
In einer Prozess-orientierten Betrachtungsweise klingt das so:
Der emotionale Wunsch, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, setzt einen schöpferischen Prozess in Gang, der eine eigene, teilweise unvorhergesehene Dynamik hat. Und dieser schöpferische Prozess bringt Lösungen mit ebensolchen Eigenschaften hervor: unvorhergesehen, überraschend, eigen.
Das ist wie beim Segeln: Die grundsätzliche Richtung legt man natürlich selbst fest, aber im Detail geht man besser mit dem Wind.
Um die hier als schöpferisches Unterbewusst¬sein bezeichnete Kraft in den Entwicklungsprozess einbinden zu können, muss man in der Lage sein,
- sich einem schöpferischen Prozess hinzu¬geben, ihm zu folgen
- Strukturen und Architekturen herauszulesen und zu erkennen
Wenn nun aber
- Prozesse immer genauer vorgegeben werden und einzuhalten sind
- Architekturen rational erdacht und festgelegt werden, bevor auch nur ein einziger Prototyp gelaufen ist
dann entstehen eine Reihe von Konflikten. Es ist wie bei einem engagierten Mitarbeiter, dem der Chef ständig ins Handwerk pfuscht, weil er ihm nichts zutraut. Die Ursache dafür liegt aber bei schöpferischen Prozessen – um die Analogie einmal weiterzutreiben – nicht darin, dass der Chef dem Mitarbeiter nichts zutraut, sondern dass er gar nicht weiß, dass da ein Mitarbeiter ist, der unermüdlich schafft.
Eine Informatik,
- die Softwareentwicklung als einen Produktionsprozess sieht,
- indem es um immer mehr Automatisierung geht,
- und um das Ausschalten unberechenbarer Faktoren wie dem einzelnen Menschen
- und um das konstruktive Schließen der "kreativen Lücke" zwischen Anforderung und Lösung
eine solche Informatik befindet sich im Dauerkonflikt mit der tatsächlichen Natur schöpferischer Prozesse.
Es könnte kaum einen größeren Irrtum geben, als Softwareentwicklung mit dem Produktionsprozess eines Autos gleichzusetzen. Das fertige Softwareprogramm, ja, das kann man schon damit gleichsetzen. Aber nicht den Prozess seiner Erstellung.